Gestern war heute noch morgen - warum schiebe ich unangenehme Dinge ständig vor mir her?

 

“Ach, jetzt nicht, das mache ich später! Oder vielleicht morgen?  Morgen bin ich bestimmt viel ausgeruhter und habe mehr Lust dazu! Jetzt räume ich erst mal noch auf, damit ich mich morgen hier konzentrieren kann!”

 

Na, wer kennt’s? Hier haben wir einen klassischen Fall von Prokrastination: man nimmt sich etwas vor und tut es dann doch nicht, obwohl man eigentlich die Möglichkeit dazu hätte. Meist fühlt man sich dabei ziemlich schlecht, insbesondere wenn der Zeitpunkt, zu dem die Aufgabe erledigt sein müsste immer näher rückt und man feststellt: Mist, ich hab mich schon wieder nicht rechtzeitig um die Weihnachtsgeschenke gekümmert!

 

Ich selbst befasse mich aktuell im Rahmen meiner Doktorarbeit mit dem Thema und war früher meine beste eigene Versuchsperson! Letztens aber, während einer wissenschaftlichen Konferenz wurden wir Forscher:innen, die wir uns alle schon intensiv mit Prokrastination befasst haben, gefragt, wer von uns sich denn selbst als Prokrastinierer bezeichnen würde. Die meisten, so wie ich, haben das verneint.

Was nämlich passiert, wenn man sich intensiv mit diesem oft unbewusst ablaufenden Verhalten beschäftigt ist, dass einem viel häufiger auffällt, was man da eigentlich tut. Die Ausreden sich selbst gegenüber wirken dann nicht mehr so gut und man macht eben doch mehr von dem, was man sich vorgenommen hat.

 

Zum Glück muss man aber keine ganze Doktorarbeit zu diesem Thema verfassen, um die Sache mit dem Aufschieben in den Griff zu bekommen. Es gibt bereits verschiedene, wissenschaftliche erprobte Strategien, die man für sich übernehmen und umsetzen kann:

 

 

Strategien gegen Prokrastination

 

Wenn wir uns einer, schon seit Ewigkeiten aufgeschobenen Aufgabe stellen wollen, lohnt es sich, sich diese, ständig im Kopf herumgeisternde Sache, einmal genauer anzusehen.

Dazu eignen sich folgende Fragen:

  • Welche kleinen Schritte sind notwendig, um die Aufgabe zu erledigen?
  • Was wäre für mich der nächste kleine Schritt, um damit weiterzukommen?

Wenn ich mir diese Teilschritte dann vor Augen führe, fällt es mir viel leichter, die Aufgabe zu bewältigen. Aus einem diffusen, unüberblickbarem Arbeitsauftrag werden dann konkrete Teilpakete, die zum Erledigen motivieren.

 

Diese Teilaufgaben kann ich mir dann in einem realistischen Zeitplan einplanen.

Realistisch heißt: nicht zu viel vornehmen, sowie Puffer- und Pausenzeiten berücksichtigen.

 

"Wenn,dann"-Pläne

Noch besser klappt das, wenn ich diese kleinen Teilaufgaben an Handlungen knüpfe, die ich ohnehin erledige. Also zum Beispiel:

  • Wenn ich den Tee ausgetrunken habe, dann setze ich mich an den Schreibtisch.
  • Wenn ich mein Mailprogramm öffne, dann antworte ich direkt auf diese eine unangenehme Nachricht.

Diese sogenannten Wenn-Dann Pläne verringern die Hürde, anzufangen. Denn dadurch ist für uns direkt der Zeitpunkt klar und wir müssen nicht darüber nachdenken, wann wir es am besten einschieben.

 

Auch der Aufbau von Gewohnheiten kann helfen

Ich habe zum Beispiel die Motivation für ein lange liegen gebliebenes Schreibprojekt wiedergefunden, indem ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, jeden Tag nach der Mittagspause eine Viertelstunde daran zu arbeiten. Manchmal wurde es mehr, manchmal auch nicht, hauptsache ich hatte diese Viertelstunde lang etwas für mein Schreibprojekt getan.

 

In diesem Rahmen kann es nachweislich sogar tatsächlich helfen, wenn man sich anfangs auf diese sehr kurze Zeitspanne beschränkt. Diese Arbeitszeitrestriktion ist auch eine wirksame Strategie gegen Prokrastination.

 

All diese Strategien sind hilfreich und helfen uns dabei, uns wieder aktiv der Erledigung einer Aufgabe zu nähern. Langfristig kann es aber sein, dass diese verhaltensorientierten Strategien Prokrastination zwar verringern, dabei aber eher das Symptom und nicht die Ursache lindern.

 

 

Warum prokrastinieren wir überhaupt?

 

Häufig haben die Aufgaben die wir ständig aufschieben bestimmte Merkmale:

Sie machen kurzfristig überhaupt keinen Spaß, sind aber für die langfristige Erreichung unserer Ziele notwendig. In diesem Moment, habe ich zum Beispiel überhaupt keine Lust, für eine Prüfung zu lernen. Ich brauche aber die Prüfung, um mein Studium abzuschließen und einen Beruf auszuüben, der mir Spaß macht.

Kurzfristig habe ich auch überhaupt kein Interesse daran, das dreckige Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Langfristig bzw. generell möchte ich mich aber zu Hause wohlfühlen und dafür benötige ich ein gewisses Maß an Ordnung.

Statt die Aufgaben zu erledigen, die mir langfristig etwas bringen, entscheiden wir uns all zu oft für Aufgaben, die uns in diesem Moment besser gefallen. In solchen Entscheidungsmomenten neigen wir dazu, eher unserem Gefühl nachzugeben, was da sagt:

"Nee, das mache ich lieber morgen! Jetzt möchte ich etwas tun, wobei ich mich jetzt schon gut fühle."

 

Häufig tun wir die Dinge auch deshalb nicht, weil sie in uns ein schlechtes Gefühl auslösen. Man macht die Steuererklärung nicht, weil man sich währenddessen ständig erzählt, dass man das doch längst schon hätte tun können. Man kauft die Weihnachtsgeschenke nicht, weil das eine komplexe Aufgabe ist: Wer bekommt was, wie viel, wo bekomme ich das her, mag meine Nichte eigentlich immer noch Peppa Wutz?

Deshalb sind viele Forscher:innen inzwischen der Meinung, dass Prokrastination letztlich immer ein Versuch ist, unsere negativen Gefühle zu regulieren, die die aufgeschobene Aufgabe bei uns auslöst.

 

  • Wer sich also nachhaltig mit seinem Prokrastinationsproblem auseinandersetzen möchte, dem kann ich leider keine schönen Bulletjournals oder raffiniert ausgearbeiteten To Do Listen empfehlen. Da hilft es nur, sich ehrlich zu fragen: Warum ist diese Aufgabe so unangenehm für mich?
  • Passt die Aufgabe gar nicht mehr zu mir und muss ich grundlegend etwas ändern?
  • Kann ich es schwer ertragen, mich bei einer Sache inkompetent zu fühlen?
  • Mache ich mir während ich die Aufgabe erledige ständig Gedanken darüber, ob ich dem Ganzen überhaupt gewachsen bin?

 

Aufbauend auf diesen Antworten kann ich dann entscheiden: Entscheide ich mich bewusst gegen die Erledigung dieser Aufgabe, kann ich an der Art und Weise wie ich die Aufgabe erledige etwas für mich erleichtern oder muss ich da einfach mal durch, mich währenddessen nicht so gut zu fühlen, weil ich weiß, dass es sich langfristig für mich lohnt?

 

 

Und selbst?

 

Während ich persönlich festgelegte Aufgaben inzwischen so ganz gut erledigt bekomme, gibt es da eine Sache, die ich wirklich überhaupt nicht gut kann, und das ist Entscheidungen zu treffen. Diese sogenannte decisional procrastination geht soweit, dass ich, bis ich mit meinen beiden Kindern angezogen an der Haustür stehe, mich noch nicht entschieden habe, ob ich meine Tochter, die noch eine leichte Erkältung hat, heute zur Kita schicke oder nicht. Und dabei sind die Gründe, warum ich mich mit dem entscheiden so schwer tue und es deshalb so lange vor mir herschiebe genau dieselben wie bei allen anderen Dingen, die man vor sich herschiebt: Ich mag es einfach nicht.

 

Ich mag dieses Gefühl einfach nicht, eine der Optionen für mich auszuschließen

Wenn ich nach entweder oder gefragt werde, entscheide ich mich gerne für beides. Und wenn das nicht geht, warte ich so lange, bis es wirklich nicht mehr geht, oder sich eine der Optionen von selbst erübrigt.

 

Tja, so ist das mit unserem Menschsein. Wäre ja auch schade, wenn es gar nichts mehr gibt, an dem wir arbeiten könnten. Ich gehe jetzt erst mal einen Kaffee trinken. Oder doch bei meinem Opa anrufen? Oder eben noch einkaufen?

Hach, immer diese Entscheidungen…

 

 

 


Über die Autorin

Ich bin Julia, Psychologin aus OWL und in diesem Jahr zum zweiten Mal Mama geworden. Neben diesem wichtigsten Job in meinem Leben promoviere ich seit 2017 zum Thema Prokrastination. Wie auch in meinen Sitzungen als systemische Beraterin interessiert mich dabei am meisten, Menschen darin zu begleiten, ein selbstbestimmtes und glückliches Leben zu führen. Dafür braucht es nicht immer eine vollständig abgearbeitete To Do Liste. Letztes Jahr habe ich, zusammen mit einem lieben Kollegen, ein ehrenamtlich arbeitendes Beraternetzwerk aus systemischen Berater:innen gegründet. Darüber vermitteln wir kostenlose, qualifizierte Onlineberatung. Mehr Infos dazu gibts hier.

Auf meinem Instagram Account findest du außerdem Impulse zu den Themen Psychologie, Mama-Alltag und allem, was uns lebensglücklich macht. Durch meine ganzen Projekte muss ich übrigens auch ständig Dinge später erledigen, als eigentlich geplant. Mein Trick dabei: ich nenne das nicht mehr Prokrastination, sondern strategisches Aufschieben. Klingt viel mehr so, als hätte man die unüberschaubare Lage noch im Griff, oder?


 

Haftungsausschluss: Für den Inhalt dieses Beitrags ist ausschließlich die Autorin verantwortlich.


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