Warum deine introvertierte Seite stärker ist, als du denkst

 

Es gab vor einigen Jahren eine interessante Untersuchung darüber, warum sich manche Menschen glücklicher fühlen als andere. Der Journalist Robert Blondin reiste rund um die Welt, um Hunderte von Menschen zu befragen und herauszufinden, was Menschen glücklich macht. Dabei ging er auf eine besondere Art vor: Er fragte die Menschen, die er traf, wen sie aus ihrem Umfeld, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, als besonders glücklich bezeichnen würden. Dann fuhr er zu genau diesen Personen und fragte sie, ob sie sich selbst auch als glücklich bezeichnen würden. Anschließend interviewte er sie.

 

 

Die Tendenz war eindeutig

Es waren nicht die reichen, schönen, gesunden oder berühmten Menschen, die am glücklichsten waren. Als glücklich beschrieben sich vor allem die Menschen, die eine Krise in ihrem Leben erfolgreich überstanden hatten. Die Erfahrungen aus der Krise hatten sie wachsen lassen und ihnen eine neue Perspektive auf ihr Leben ermöglicht. Sie waren stolz auf sich, auf ihren Mut, ihr Durchhaltevermögen und ihre Art, wie sie die Krise gemeistert hatten.

 

Diese Erkenntnis finde ich sehr beruhigend. Jeder von uns muss kleinere und größere Lebenskrisen bewältigen. Ist es nicht schön zu wissen, dass hinterher, nach der überstandenen Zeit, ein glücklicheres Leben auf einen wartet? Mir gibt dieser Gedanke Mut, mich den Krisen zu stellen.

 

 

Ich empfand mich als zu still

Arbeitslosigkeit, Trennungen, Tod – all das ist mir in meinem Leben schon begegnet, hat mich herausgefordert und mich gezwungen, über mich und mein Leben nachzudenken. Doch die längste (und, wie ich heute weiß, selbstgestrickte) Krise war geprägt von jahrelangen Selbstzweifeln und Unsicherheit.

 

Ich empfand mich als zu still und nur selten gesprächig. Häufig nachdenklich statt spontan, immer ernsthaft statt albern, mehr zu Hause als unterwegs. Zu introvertiert eben. Ich war verunsichert und wütend auf mich selbst, dass ich so zurückhaltend, oft sogar verschlossen, still und ungesellig war und es nicht schaffte, mehr aus mir herauszukommen.

 

Mir sind in den letzten Jahren viele introvertiert veranlagte Menschen begegnet, die unglücklich mit ihrer Persönlichkeit sind, so wie ich es war. Ich habe mich damals oft gefragt, warum es mir so schwerfällt, mit anderen locker zu plaudern. Oder warum ich mich gut fühle, wenn eine Verabredung abgesagt wird. Ich bin gerne alleine und genieße meine Ruhe, aber ich möchte die Menschen in meinem Leben, die mir wichtig sind, nicht vernachlässigen. Mein Freundeskreis ist sehr übersichtlich, und manchmal fehlen mir wichtige Kontakte, doch ich tue mich schwer damit, diese zu knüpfen. Ich fühle mich nicht einsam, aber alle und alles um mich herum scheint mir einflüstern zu wollen, dass ich es bin.

 

 

Für uns Introvertierte fühlt es sich oft so an, als würden wir nicht so richtig in diese Welt passen

Von überall ruft man uns zu: »Sei offen! Hab viele Freunde! Nutze deine Beziehungen! Unter vielen Menschen ist es schöner als allein!«. Wir kämpfen uns tapfer durch ein Leben in einer Gesellschaft, die ihre Scheinwerfer fast ausschließlich auf extravertiertes Verhalten gerichtet hat. Die Stärken von introvertierten Menschen werden vielfach ignoriert, oder sogar bewusst als unerwünscht klassifiziert. Was für ein fataler Verlust für alle! Unsere westliche Gesellschaft hat die extravertierte Persönlichkeit zum Ideal ernannt und fordert alle auf, diesem Ideal nachzustreben. Als stiller, introvertierter Mensch ist es schwierig geworden, zu sich selbst zu finden, die eigene, stille Persönlichkeit mit ihren vielen Facetten wertzuschätzen und entgegen den Erwartungen der Gesellschaft den eigenen Weg unbeirrt fortzusetzen.

 

Vor einigen Jahren fiel mir ein Artikel über leise und laute Menschen in die Hände. Darin wurde über die Eigenschaften von introvertiert veranlagten Menschen geschrieben, und was sie von den extravertiert veranlagten Menschen unterscheidet. Dieser Artikel hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet: Ich begann zu verstehen, warum ich Bedürfnisse habe, die sich manchmal sehr von denen anderer Menschen unterscheiden. Warum ich gerne alleine bin und meine Ruhe genieße. Warum ich viel und lange nachdenke. Warum ich auf andere manchmal langweilig und unscheinbar wirke.

 

 

Ich begann, meinen eigenen inneren Kampf nach und nach aufzugeben

Und, noch ein wenig enttäuscht über mich selbst, meine stille Art einfach zu akzeptieren – mit dem Ergebnis, dass ich mich plötzlich frei, unabhängig, kreativ und selbstbewusst fühlte. Ich sah mich und meine Introversion auf einmal mit neugierigen, interessierten und erstaunten Augen.

 

Wenn du Frieden mit dir selbst schließen kannst, beginnst du, dich aus einer neuen Perspektive zu sehen – und viele tolle, besondere, individuelle Wesensmerkmale an dir zu entdecken. Alles, was du brauchst, um als introvertiert veranlagte Persönlichkeit in unserer Kultur zufrieden und glücklich zu leben, steckt bereits in dir: Es ist eine Schatzkiste voll unentdeckter Potenziale und schlummernder Stärken. Vielleicht hast du sie lange unterdrückt oder einige davon noch gar nicht bei dir entdeckt. Das soll sich jetzt ändern. Gerade als introvertierte Persönlichkeit hast du die Chance, Lücken zu schließen, Sinn zu stiften und Balance herzustellen: für dich selbst, für deine Familie und Freunde und für die Gesellschaft, in der wir leben.

 

Introversion und Extraversion sind angeborene und im Kern unveränderliche Veranlagungen in der Persönlichkeit. Wir alle tragen sowohl introvertierte als auch extravertierte Anteile in uns, wobei die eine oder andere Seite dominiert. Es ist wichtig zu verstehen, wie Introvertierte ticken und was sie alles zu bieten haben. Wie sie mit ihren eigenen Talenten und Potenzialen der Welt das geben können, was ihr aktuell an vielen Stellen fehlt – und was unsere extravertiert-orientierte Gesellschaft von ihnen lernen kann.

 

Dazu möchte ich dir eine kleine Geschichte erzählen, die so schön zeigt, wie wertvoll eine stille Persönlichkeit ist:

 

Eines Tages verlor ein Bauer seine Lieblingsuhr in seiner Scheune. Eigentlich war sie nicht teuer, aber sie war ein Geschenk seines Vaters und bedeutete ihm viel. Er suchte den ganzen Tag und konnte sie nicht finden. Er trommelte die Kinder des Dorfes zusammen und bat sie, ihm beim Suchen zu helfen.
Die Kinder liefen wild durch die Scheune und suchten jede Ecke ab – doch ohne Erfolg. Als der Bauer die Suche am Abend aufgab und alle Kinder wieder gegangen waren, da kam ein kleiner Junge zum Bauern. »Darf ich es noch ein letztes Mal versuchen?« fragte der Junge. Der Bauer hatte nichts dagegen. Der Junge ging allein in die Scheune, während der Bauer draußen wartete. Der Bauer hörte lange Zeit nichts. Er hörte keine Schritte, keine Suchgeräusche. Nichts. Dann kam der Junge mit der Uhr in der Hand aus der Scheune. »Wie hast du das geschafft?«, rief der Bauer.
»Es war ganz einfach«, antwortete der kleine Junge. »Ich habe einfach still auf dem Boden gesessen und gewartet, bis ich das Ticken der Uhr hören konnte.
«

(Verfasser unbekannt)

 

Ich lade dich ein, deine introvertierte Seite besser kennenzulernen. Hast du schon einmal über deine Stärken nachgedacht? Über die, die du nicht trotz, sondern wegen deiner Veranlagung zur Introversion hast? Du kannst dich heute auf die Reise machen und unsichtbare, schlafende, verkümmerte oder sogar schon längst perfektionierte Talente und Potenziale in dir entdecken. Ich möchte dir Mut machen, diese Potenziale weiterzuentwickeln und sie weit in den Vordergrund deines Lebens zu rücken. Die Welt braucht uns leise Menschen!

 

 

 


Über die Autorin

Mein Name ist Lena. Ich bin Kulturwissenschaftlerin, Autorin, Bloggerin, Meditationslehrerin und Mutter. In der Lüneburger Heide habe ich meine Heimat gefunden und darf in meinem Job diese wunderschöne Kulturlandschaft mitentwickeln und gestalten. Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung sind meine zweite Leidenschaft. Ich bin selbst introvertiert und hochsensibel und beschäftige mich intensiv mit den Stärken und Potenzialen, die mit Introversion verbunden sind. Über meine Erfahrungen und Erkenntnisse schreibe ich auf meinen Kanälen und in meinem Buch* Leidenschaftlich introvertiert. Mehr über mich und meine Arbeit findest du auf meiner Seite „Team Introvertiert“ , oder auf Facebook und Instagram.

 


 

Haftungsausschluss: Für den Inhalt dieses Beitrags ist ausschließlich die Autorin verantwortlich.

 

 

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